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  • Jean-Jacques Rousseau (1712-1778)

Jean-Jacques Rousseau (1712-1778)

 

Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt; alles entartet unter den Händen des Menschen.

 

Wir werden schwach geboren und brauchen Stärke. Wir haben nichts und brauchen Hilfe; wir wissen nichts und brauchen Vernunft. Was uns bei der Geburt fehlt und was wir als Erwachsene brauchen, das gibt uns die Erziehung.

 

Die Natur oder die Menschen oder die Dinge erziehen uns. Die Natur entwickelt unsere Fähigkeiten und unsere Kräfte; die Menschen lehren uns den Gebrauch dieser Fähigkeiten und Kräfte. Die Dinge aber erziehen uns durch die Erfahrung, die wir mit ihnen machen, und durch die Anschauung.

Wir haben also dreierlei Lehrer. Widersprechen sie sich, so ist der Schüler schlecht erzogen und wird immer uneins mit sich sein. Stimmen sie aber überein und streben sie auf ein gemeinsames Ziel hin, so erreicht er sein Ziel und lebt dementsprechend. Er allein ist gut erzogen.

 

Wenn man einen Menschen für andere erzieht, statt für sich selbst? Dann ist Übereinstimmung nicht möglich.

 

Der natürlich Mensch ruht in sich. Er ist eine Einheit und ein Ganzes; er bezieht sich nur auf sich oder seinesgleichen.

Wer innerhalb der bürgerlichen Ordnung seine natürliche Ursprünglichkeit bewahren will, der weiss nicht, was er will. Im Widerspruch mit sich selbst, zwischen seinen Neigungen und Pflichten schwankend, wird er weder Mensch noch Bürger sein. Er ist weder sich noch anderen nützlich. Er wird ein Mensch von heute sein, ein Franzose, ein Engländer, ein Spiessbürger: ein Nichts.

 

Unsere lächerlichen Kollegien kann man nicht als öffentliche Erziehungsanstalten ansehen. Die Erziehung durch die Gesellschaft zähle ich auch nicht dazu, weil sie zwei entgegengesetzten Zielen dient: sie erzieht Menschen mit zwei Seelen, die an andere zu denken scheinen, in Wirklichkeit aber nur an sich denken.

 

Was muss man tun, um diesen seltenen Menschen heranzubilden? Zweifellos viel: nämlich verhindern, dass etwas getan wird.

In der Sozialordnung sind alle Plätze gekennzeichnet; jeder muss für seinen Platz erzogen werden.

In der natürlichen Ordnung sind alle Menschen gleich; ihre gemeinsame Berufung ist: Mensch zu sein. Wer dafür gut erzogen ist, kann jeden Beruf, der damit in Beziehung steht, nicht schlecht versehen. Ob mein Schüler Soldat, Priester oder Anwalt wird, ist mir einerlei. Vor der Berufswahl der Eltern bestimmt ihn die Natur zum Menschen. Leben ist ein Beruf, den ich ihn lehren will. Ich gebe zu, dass er, wenn er aus meinen Händen kommt, weder Anwalt noch Soldat noch Priester sein wird, sondern in erster Linie Mensch.

 

Unser wahres Studium gilt den Lebensbedingungen. Nach meiner Meinung ist der am besten erzogen, der die Freuden und Leiden dieses Lebens am besten zu ertragen vermag. Daraus folgt, dass die wahre Erziehung weniger vorschreibt als praktisch übt.

 

Nicht wer am ältesten wird, hat am längsten gelebt, sondern wer am stärksten erlebt hat.

 

Es ist das Schicksal der Menschen, zu allen Zeiten zu leiden. Glücklich ist, wer in seiner Jugend nur leibliche Schmerzen kennenlernt; sie sind weniger hart und weniger schmerzhaft als die anderen. Ihretwegen verzichtet man viel seltener auf das Leben! Man bringt sich wegen Gicht nicht um. Nur die Leiden der Seele bringen uns zur Verzweiflung. 

 

Man redet viel über die Eigenschaften, die ein guter Erzieher haben muss. Die erste, die ich verlange, – und diese setzt viele andere voraus – ist die, kein käuflicher Mensch zu sein.

Wer kann in dieser verkommenen Zeit noch sagen, wie weit ein Mensch noch rechtschaffen ist?

 

Der einzig nützliche Zweig der Medizin ist die Hygiene, und die ist weniger eine Wissenschaft als eine Tugend.

 

Städte sind das Grab des Menschen. In wenigen Generationen sterben die Familien aus oder entarten.

 

Die ersten Kindertränen sind Bitten. Sieht man sich nicht vor, so werden Befehle daraus. Zuerst lassen sie sich nur helfen, zuletzt lassen sie sich bedienen. So entsteht aus ihrer Schwäche, von der das Gefühl ihrer Abhängigkeit kommt, der Begriff der Herrschaft und der Überlegenheit.

Alle Bosheit entspringt der Schwäche. Das Kind ist nur böse, weil es schwach ist. Macht es stark und es wird gut sein. Wer alles kann, tut niemals Böses.

 

Das Glück auf dieser Erde ist nur ein negativer Zustand; man muss es nach dem geringsten Mass an Leiden messen.

Unser Unglück entsteht aus dem Missverhältnis zwischen unseren Wünschen und unseren Fähigkeiten. Ein fühlendes Wesen, dessen Fähigkeiten seinen Wünschen entsprächen, wäre absolut glücklich.

Worin besteht also die menschliche Weisheit oder der Weg zum wahren Glück? Nicht eigentlich darin, unsere Wünsche zu vermindern. Denn wenn sie hinter unserem Vermögen zurückbleiben, so bliebe ein Teil unserer Fähigkeiten ungenützt, und wir gelangten nicht zum vollen Genuss unserer Sinne. Ebenso wenig wäre es möglich, wenn wir unsere Fähigkeiten ausweiten. Denn wenn unsere Wünsche ebenfalls im gleichen Masse zunähmen, würden wir umso unglücklicher. Es gilt also, das Übergewicht der Wünsche über unsere Fähigkeiten zu vermindern und Wollen und Können in vollkommenes Gleichgewicht zu bringen. Nur wenn alle Kräfte tätig sind, und die Seele dabei noch in Frieden ruht, ist der Mensch ausgeglichen.

 

Es gibt vielleicht keinen wohlhabenden Menschen, dem nicht habgierige Erben, und oft die eigenen Kinder, insgeheim den Tod wünschen; kein Dampfer auf dem Meer, dessen Untergang nicht eine gute Nachricht für irgendeinen Handelsmann bedeutete; kein Haus, das nicht ein unehrlicher Schuldner mit allen Papieren, die es enthält, gern brennen sehen würde; kein Volk, das sich nicht an den Missgeschicken seiner Nachbarn weidete. Auf solche Weise finden wir unseren Vorteil in dem Nachteil unseresgleichen. Des einen Verlust begründet so fast immer des andern Reichtum.

Man bedenke, was das für ein Stand der Dinge sein muss, in dem alle Menschen gezwungen sind, einander zu liebkosen und zu ruinieren, und in dem sie als Feinde aus Pflicht und als Spitzbuben aus Eigennutz geboren werden. Wenn man mir antwortet, die Gesellschaft sei so organisiert, dass jeder davon gewinnt, dass er dem anderen dient, so werde ich erwidern, es wäre sehr trefflich, falls nicht jeder noch mehr verdiente, wenn er dem anderen schadete. Es gibt keinen gesetzmässigen Verdienst, der nicht von einem ungesetzmässigen übertroffen würde. Das dem Nächsten angetane Unrecht ist stets einbringlicher als Dienste. Es handelt sich also nur darum, Mittel ausfindig zu machen, um sich der Straflosigkeit zu versichern. Eben hierauf verwenden die Mächtigen all ihre Kraft und die Schwachen all ihre Hinterlist. 


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